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02/2009
Hier folgen 3 ausgewählte Punkte im Original: „Articul und Punkta über das von dem Prediger zu Rothenburg Hieronymo Grell daselbst neu erbaute Armen-, Kinder- und Pfarrwitwen-Haus.1. Wird das für sämtliche arme Kinder von Hieronymo Grell, zur Zeit Prediger daselbst, auf Gottes Güte 1708 zu bauen angefangene Haus, welches in einem Tractätchen von der sonderbaren Güte Gottes über dieselben armen Kinder von 1707 kürzlich beschrieben ist, in hohen Gnadenschutz genommen, allergnädigst confirmirt und bestätigt dargestellt…. 6. Aus besonderer hoher Gnade soll erlaubt werden, wenn sich auch gleich anfangs solches nicht bezogen, nachmals aber sie dasselbige gereuen würde, auf vorhergegangener halbjähriger Anmeldung solches zu bekommen…. 11. Soll für dieselben das Schulgeld, vermöge des Miethsgeldes von dem Hause, worin sechs Wohnungen befindlich, durch richtige Bezahlung für ein jedes Kind entweder von 6 zu 6 Wochen, wie es von 1707 bis hierher geschehen, oder nach einer gewissen, mit dem Schulbedienten ausgemachten Summa übers ganze Jahr, gezahlt, und also die Schule den Kindern von dem Hause frei gehalten und gegeben werden …“ (S. 155 f) Die Ausdrucksweise des frühen 18. Jahrhunderts ist heute außerordentlich schwer nachzuvollziehen. Insbesondere juristische Formulierungen sind teilweise völlig unverständlich. Die 23 Satzungspunkte der Grell’schen Stiftung beinhalten sinngemäß und zusammengefasst folgende Aussagen: - Alle armen Rothenburger Kinder werden in dem neu zu erbauenden Haus Unterkunft finden, unter Gottes Schutz stehen und konfirmiert werden. - Das Haus ist unwiderruflich für arme Kinder zu nutzen, anderweitige Verfügungen stehen den Statuten des Stifters entgegen. - Die Rothenburger Pfarrerwitwen erhalten Zeit ihres Lebens freie Wohnung oder eine Stube, Küche und 3 Kammern. - Falls eine Pfarrwitwenwohnung im Haus belegt sein sollte, ist diese im Bedarfsfall für die Pfarrwitwe nach einem halben Jahr zu räumen. - Eine Pfarrwitwe verliert das Wohnrecht und alle Privilegien im Haus bei Wegzug aus Rothenburg. - Wohnrecht im Haus erhält eine Pfarrwitwe auch zu späteren Zeiten nach einer Wartezeit von mindestens einem halben Jahr. - Ist eine Pfarrwitwe aus dem Haus ausgezogen, verliert sie jegliche Ansprüche. - Zieht ein Pfarrer aus Rothenburg weg, so ist dessen Ehefrau als Fremde anzusehen, und mietfreies Wohnen im Haus ist untersagt. - Falls eine Pfarrwitwe innerhalb eines halben Jahres nach dem Tode des Pfarrers ebenfalls stirbt, so erhalten die vater- und mutterlosen Waisen ebenfalls mietfreies Wohnen solange sie ledig sind. - Für im Haus wohnende Kinder ist das Schulgeld aus Mieteinnahmen des Hauses zu zahlen. - Weitere Gelder aus Mieteinnahmen sind besonders für Heizung, Anschaffung einiger Kleider für die Ärmsten usw. zu verwenden. - Das Haus ist befreit von finanziellen Lasten außer Feuerkassengeld und Zins an das Amt. - Im Haus wohnende Handwerker sind von der Gewerbesteuer befreit. - Im Haus sollen lediglich Leute wohnen, welche christlich leben und sich ehrlich und redlich zu ernähren suchen. - Diebe, Räuber, Spieler, Säufer, Zänker, Biersiedler und dgl. sollen weder aufgenommen noch geduldet bzw. bei Betreten des Hauses bestraft werden. - Der Pfarrer des Ortes ist alleiniger Vorsteher des Hauses. - Zu keiner Zeit ist es dem Pfarrer des Ortes gestattet, das Haus zu beleihen, zu verpfänden, zu vermieten und in Erbpacht zu vergeben. Bei der Interpretation der Stiftungssatzung verweist Pastor Wilcke in seiner Chronik auf eine Unterlassung seines angesehenen Vorgängers: „Bei diesen Statuten nun hat der selige Pastor Grell den Fehler begangen, keinen Fonds anzuweisen, aus welchem das Haus im baulichen Stande erhalten werden könnte; es ist daher, widrigenfalls es schon längst verfallen wäre, der meiste Theil der Miethsgelder dazu verwendet, theils einen solchen Fonds zu bilden, theils die Ausgaben zu bestreiten, welche die Erhaltung dieser Stiftung notwendig machen.“ (S. 161) Was wollte Pastor Grell erreichen? 1. Weder die kirchlichen Behörden, die Landesbehörden noch andere Institutionen sollten die Möglichkeit haben, dieses Haus zu „vereinnahmen“ oder zu benutzen 2. Es sollte eine soziale Einrichtung werden für - Pastorenwitwen (freie Unterkunft) - arme Kinder (Unterstützung bei Schulgeld und Schulbüchern) Es war der Mangel an finanziellen Mitteln, der verhinderte, dass die Grell’sche Stiftung ihren Zweck in vollem Umfang erfüllen konnte. Im Volksmund hieß dieses Haus viele Jahrzehnte auch Waisenhaus, obwohl bekannt ist, dass dieses Gebäude nie von Waisen genutzt wurde. Es ist auch nicht überliefert, ob Pastorenwitwen jemals in diesem Haus gewohnt haben. Über die Nutzung des Gebäudes von 1748 bis 1798 liegen keine Angaben vor. Die Rothenburger Schmelzhütte ließ 1798 das Gebäude sanieren und richtete eine Dienstwohnung für den Schuldirektor sowie einen Klassenraum ein. 1799 nahmen die ersten 45 in Pastor Wilckes Chronik namentlich erwähnten Schülerinnen (18) und Schüler (27) ihren Klassenraum im Waisenhaus in Besitz. Unter ihnen befinden sich für Rothenburg geläufige Namen, wie Bosse (Friedrich und Marie), Dietzsch (Christoph und Dorothee), Naumann (Christian), Kersten (Franz), Gensow (Gottfried), Müller (Anna), Thiele (Daniel).Mit dem Bau des kleinen Schulgebäudes neben der Kirche wurde die Dienstwohnung wieder frei. So berichtet Pfarrer Salzmann in seinen ergänzenden Aufzeichnungen zur Wilck’schen Chronik, dass mit Ostern 1861 die Direktorwohnung und die Schulklasse aus dem Waisenhaus entfernt und in das neue Schulhaus verlegt wurden, so dass die Anstalt ihrem ursprünglichen Zweck wiedergegeben wurde. Seither wurde das Waisehaus ausschließlich als Wohnhaus genutzt, in dem mehrere Familien ihre abgeschlossene Wohnung hatten. Wegen Baufälligkeit wurde das Gebäude 1971 abgerissen. Impressum: Rothenburger Geschichte(n) Schriftenreihe lfd. Nr. 5 / Februar 2009 2. Jahrgang Nr. 1 Verantwortlich Ausgabe Nr. 5 : W. Becker

Das Waisenhaus – Grell‘sche Stiftung

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