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06/2012
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Rüstungsproduktion im Werk Rothenburg/S. (1935 – 1945) Die nachfolgenden Ausführungen beruhen u. a. auf W. Voigt, „Dokumentation zum Gefangenen- und KZ-Außenlager Rothenburg/S.“ , Rothenburg 2009, P. Stuffrein, „Zeittafel der Geschichte von Rothenburg/Saale“, Rothenburg 2010.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fanden bekanntlich zwei Weltkriege statt. Von Deutschland maßgeblich ausgelöst oder bewusst angezettelt, waren sie begleitet von Katastrophen und Krisen und hatten langanhaltende verheerende Folgen für Europa und die Welt. Die Schrecken der drei Jahrzehnte zwischen 1914 und 1945 waren mit denen des 30-jährigen Krieges (1618-1648) in Deutschland bzw. Mitteleuropa durchaus vergleichbar. Während der beiden Weltkriege war kein kriegführender Staat – auch nicht bei relativer Überflusswirtschaft wie in den USA und Großbritannien – in der Lage, die militärischen Mehranforderungen ohne Einschränkung des zivilen Konsums zu decken. Für Krieg und Expansion war der forcierte Ausbau rüstungswichtiger Industrien mit starken Änderungen der Produktionsstruktur und des Einsatzes von Investitionsmitteln und Arbeitskräften unumgänglich. Auch das Rothenburger Werk war Teil solcher Entwicklungen. Es handelte sich dabei in erster Linie um die Metallwarenfabrik (ehemals Prinz-Carlshütte – heute Werk I). Sie wurde seit 1917 so genannt und war zusammen mit dem Messingwerk (ehemals Näpfchenfabrik – heute Werk II) als Zweigwerk des Kupfer- und Messingwerkes Hettstedt von der Mansfeld AG übernommen worden. Die Mansfeld AG war zu jener Zeit das einzige bedeutende deutsche Unternehmen des Kupferbergbaus. 1921 aus der Mansfeldschen Kupferschiefer bauenden Gewerkschaft hervorgegangen, gehörten ihr neben den eigentlichen Kupfergruben noch zahlreiche Hilfs-, Neben- und Verarbeitungsbetriebe an, wie eben auch das große Kupfer- und Messingwerk in Hettstedt. Bereits seit 1890, aber besonders während des I. Weltkrieges waren im Rothenburger Werk (Näpfchenfabrik) Munitionsteile hergestellt worden. Das war auch der Grund für den forcierten Bau der Eisenbahnstrecke Könnern – Rothenburg/S. (vgl. Rothenburger Geschichte(n), Nr. 20, März 2012). Schon damals wurden Kriegsgefangene eingesetzt. Ein neues Kapitel der Rüstungsproduktion im Rothenburger Werk begann mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 und der Umstellung der deutschen Wirtschaft auf Kriegsvorbereitung. Das 1927 im Zuge der Weltwirtschaftskrise zeitweilig geschlossene Rothenburger Werk wurde 1935 für die Kriegsgüterproduktion reaktiviert. Im Hauptwerk Hettstedt der Mansfeld AG entstanden Anlagen zur Herstellung von Blechen für Patronenhülsen und Geschossbänder, zur Produktion von Alu-Blechen für den Flugzeugbau, zur Draht- und Seilfertigung für Fernsprechanlagen sowie für Rohre und Stangen. Im Zweigwerk Rothenburg wurde hauptsächlich Munition für Handfeuerwaffen produziert. Die Bereitstellung von Maschinen für den Ausbau des Werkes (Metallwarenfabrik) zu einem modernen Rüstungsbetrieb wurde vom Oberkommando der Wehrmacht abgewickelt. Finanzierung und Ausführung der Hallenbauten erfolgten durch die Mansfeld AG. Zwei Schießstände zur Erprobung der Munition wurden eingerichtet; geschützte Pulverlager wurden im Nussgrund angelegt. Zur Sicherung der Energieversorgung waren eine separate Hochspannungsleitung von Hettstedt nach Rothenburg verlegt sowie ein Generator zur Gaserzeugung installiert worden. Mit Ausbruch des II. Weltkrieges (1939) erhöhte sich die Rüstungsproduktion drastisch. Wurden im ersten Kriegsjahr 5 Millionen Stück Gewehrmunition hergestellt, waren es 1944 13 Millionen. Die Produktion von Pistolenmunition erhöhte sich im gleichen Zeitraum von 1,5 Millionen auf 6 Millionen Stück. Mit Blick auf den nahenden Krieg war 1938 begonnen worden, in den stillgelegten Hallen des damaligen Messingwerkes eine Stahldrahtzieherei für die Herstellung von Feldkabeln aufzubauen, nachdem dort bereits eine Leichtmetallzieherei (Alu) und –verseilerei errichtet worden waren. In den letzten Kriegsjahren betrug die Produktion von Stahldrähten für Feldkabel ca. 10 t pro Monat. Die forcierte Rüstungsproduktion im Rothenburger Werk war ab 1936 mit einer sprunghaften Steigerung des Verkehrsaufkommens der Kleinbahn Könnern – Rothenburg/S., besonders im Berufsverkehr, verbunden. Es erreichte 1944/45 seinen Höhepunkt. Bis 1937 waren die im Jahre 1927 entlassenen Arbeitskräfte wiedereingestellt worden. Der Absicherung des zusätzlichen Arbeitskräftebedarfs für die Kriegsproduktion diente die Zwangsverpflichtung vor allem von Frauen und Mädchen aus den umliegenden Städten und Gemeinden, unter anderen bis hin nach Merseburg und Weißenfels. Im ersten Kriegsjahr arbeiteten ca. 1000 deutsche Staatsbürger im Werk. Ab 1940 wurden Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, zunächst aus Polen und Frankreich, vorrangig in der Rüstungsproduktion eingesetzt, im begrenzten Umfang aber auch auf der Domäne (Amt). 1942/43 folgten Menschen aus ganz Europa, z.B aus Italien, Spanien, den Niederlanden, Belgien, Kroatien, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion. Bis zum Ende des Krieges war deren Zahl in Rothenburg/S. auf etwa 2000 Personen angewachsen. Übrigens waren im Walzwerk Hettstedt ca. 4000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene eingesetzt.
Auffahrt zum Saalberg ( Aufn.: W. Voigt ) Spezielle Barackenlager dienten der Inhaftierung von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern. Die Lager der Zwangsarbeiter aus den von Deutschland besetzten Gebieten befanden sich einmal auf dem Saalberg und zum anderen auf dem Gelände am Mühlgraben (des heutigen Kesselhauses im Werk). Die Kriegsgefangenen waren zunächst neben dem Zechenhaus und ab 1944 neben dem Zwangsarbeiterlager am Mühlgraben untergebracht. Diese beiden Gruppen arbeiteten 12 Stunden täglich in den Produktionslinien des Rothenburger Werkes, die von ‚unabkömmlichen‘ deutschen Facharbeitern überwacht worden waren, unter äußerst schweren Bedingungen. Hunger, scharfe Kontrollen und Misshandlungen durch Werkschutz und Gestapo gehörten zum Alltag. Zwischen 1943 und 1945 kamen 56 Personen im Zwangsarbeiterlager ums Leben, davon allein 21 aus der Sowjetunion.