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03/2014
Erlebnisse einer Evakuierten Ende des II. Weltkrieges in Rothenburg
Quelle: Marlene Houben, Kriegsgeschehen 1944 – 1945, Heinsberg 2011 3. Auflage.
Die Autorin hat freundlicherweise der Übernahme von Texten aus ihrem Buch zur Veröffentlichung in den
„Rothenburger Geschichte(n)“ zugestimmt.
Im Sommer 1944 wurden viele Teile der Bevölkerung, vor allem Frauen und Kinder, aus dem
Rheinlandgebiet vor den anrückenden Alliierten an der Westfront nach Mitteldeutschland evakuiert. So traf auch
im Spätsommer ein Transport mit Evakuierten aus dem Raum Heinsberg nördlich von Aachen in der Nähe zur
holländischen Grenze in Rothenburg ein. Unter vielen anderen befand sich auch eine Familie Houben. Marlene
Houben, damals neun Jahre alt, erinnert sich noch sehr gut an die Ereignisse dieser Zeit und hat ihre
Erinnerungen in einem Buch niedergeschrieben.
Daraus folgende Passagen:
„ Man schrieb das Jahr 1944. Als damals Neunjährige erinnere ich mich noch gut an das letzte
Kriegsjahr
und die damit verbundene Räumung beziehungsweise Evakuierung. Da mein Vater seines doppelten
Herzfehlers wegen für den Krieg als untauglich galt, konnte er bis Januar 1944 unser Mittelpunkt sein.
Reise in die Ungewissheit
Am 5. Oktober 1944 erhielten wir den Befehl, unser Haus zu verlassen. Ach, war das furchtbar! Wir brachen
alle in Tränen aus. Ich hatte eine große Puppe mit langen Stoffbeinen. Sie hieß
„Schlommelinz“. Da sie so groß war wie ich, konnte ich sie nicht mitnehmen. Es war ein fürchterlicher Schock
für mich. Ich setzte sie ans Flurfenster und weinte bitterlich. Meine kleine lästige
Brille, die ich für kurze
Zeit tragen sollte, steckte ich noch im letzten Moment zwischen das Scharnier der kleinen Schutztüre an der
Treppe. Nach dem Verlassen des Hauses schaute ich mich noch des Öfteren um, in Gedanken an meine heiß
geliebte Puppe. Nun stand es da, unser Heim, total verwaist. Wer sollte sich nun um Vaters schöne Blumen und
Vögel kümmern? Vor dem Gehen schütteten wir noch einen Sack Futter aus. Am „Liecker Hof“ war Treffpunkt
der Flüchtlinge. Ein Bus brachte uns bis Wasserberg. Eine Weberei wurde zur Sammelstelle. Nachdem uns noch
eine
Erbsensuppe gereicht wurde, ging es mit dem Zug ab in die Ungewissheit. Wir fuhren durch die
dunkle
Nacht, und Mutters sonst so klare Augen waren sehr traurig. Sie versuchte uns abzulenken. Hin und wieder hielt
der Zug, dann wurde ein Wagen abgehängt.
Wir zogen mit dem kleinen Handkarren traurig zum „Schützen“ zurück. Ein Herr Mohr, der spätere
Bürgermeister, erbarmte sich unser und nahm uns mit zu sich in das kleine Reihenhaus (Zechenhaus) mit den
vielen Stufen in der Kupferhammerstraße 7, einer kleinen Nebenstraße mit alten Fachwerkhäusern. Familie
Mohr stellte uns ihr Wohnzimmer zur Verfügung. Es wurden ein Bett und ein Herd aufgestellt. Ein neuer
Lebensabschnitt begann. Wir Kinder fanden das sehr schön: die Berge, die Saale, das alte Wehr. Es war der erste
Ausflug in eine andere Welt. Gott sei Dank kein Böllern und Sirenengeheul mehr. Jetzt konnten wir in Ruhe
schlafen.
Lebensmittelladen Günther um 1940 Friseurladen Hubert (Mitte) um 1950
Die Zeit in Rothenburg
Kurz vor Weihnachten 1944 schrieb Mutter an Vater einen Brief mit der Bitte, er möge doch um
Urlaub fragen und uns in Rothenburg besuchen. Sollte dieser Wunsch in Erfüllung gehen, wäre
es für uns alle das schönste Weihnachtsgeschenk. Die Enttäuschung war groß, als Vater uns
mitteilte, dass er nicht kommen könne. Uns war klar, dass Weihnachten in der Fremde nun
trauriger werden würde. Ein Tag vor Heiligabend , meine Mutter war gerade dabei, einer Frau
aus unserer Heimat die
Haare zu ondulieren, stand Vater plötzlich in der Tür. Wir weinten vor
Freude. Aber es war ein Abstellurlaub, das bedeutete, dass er in Kürze für den Frontdienst
geordert war. Im Januar 1945 brachten wir Vater nach Halle zum Bahnhof. Sein Urlaub war zu
Ende. Er hielt uns krampfhaft fest. Dann stieg er in den Zug. Vater winkte noch mit dem
Taschentuch, bis der Zug im Nebel
verschwand. Diese Minuten des Abschieds und das letzte
Winken habe ich bis heute nicht
vergessen.
Inzwischen lernte ich nette Freundinnen und Schulkameraden kennen. Aus Rothenburg Rosi Tauer,